Bericht eines Krankenpflegers – die Situation im Krankenhaus

Im Moment gilt es vor allem: Mensch bleiben, die eigene Panik zügeln und sich solidarisch zeigen.

Was ist los in den Kliniken?

Seit Dezember 2019 war bekannt, dass es einen neuartigen Virus gibt, der sich massiv ausbreitet und in China bereits viele Todesopfer gekostet hat. Mit seiner weiteren Ausbreitung musste nach den Erfahrungen von SARS, Schweinegrippe usw. auf jeden Fall gerechnet werden.

Ich kann nicht wirklich einschätzen, wie geeignet die bis dahin ergriffenen Maßnahmen waren, um die Ausbreitung einzuschränken, aber es mutet schon etwas komisch an, dass der Reiseverkehr erst recht spät eingeschränkt wurde und Reisende nicht automatisch bei Rückkehr in Quarantäne gestellt wurden.

In den Kliniken sind nach meiner Beobachtung sehr lange die normalen Routinen fortgeführt worden, seit einer Woche nun aber ist es wie in der Politik, täglich werden neue Maßnahmen und Pläne aufgestellt und verkündet. Vielleicht geht es in den Kliniken auch etwas weniger um das zur Schaustellen des eigenen Willens, besonders schnell oder gar als Erster drastische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit umzusetzen.

Doch in den Kliniken bleibt die Lage schon bei den bisher noch geringen Coronafällen angespannt. Bleibt?

Ja bereits am 04.03.2020 wurde das  Pflegepersonaluntergrenzen-Gesetz außer Kraft gesetzt. Die dort geregelten Mindestbesetzungen mit Pflegepersonal für einige Disziplinen wie Unfallchirurgie, Geriatrie oder eben auch ITS waren eh schon wirklich sehr niedrig angesetzt, also in anderen Worten auch nach diesen Regelungen hatte eine Pflegekraft sehr viele PatientInnen zu versorgen. Diese wurden also aufgehoben, doch die Kliniken fuhren bzgl. der Fallzahlen, der OPs und Prozeduren weiter Volllast. Das heißt, es wurde nicht daran gearbeitet Kapazitäten auf den Intensivstationen zu schaffen, Stationsbetten frei zu bekommen für die zu erwartenden Nicht-ITS-pflichtigen Coronapatienten. Erst etliche Tage später gab es dann vom Bundesgesundheitsminister die Order, das sogenannte elektive Programm auszusetzen. In Berlin scheint man damit nun auch zu beginnen. Aber es gibt Meldungen aus anderen Kliniken, dass dort ChefärztInnen oder ManagerInnen noch immer ihre Programme im OP etc. voll laden und durchziehen, mit der Begründung ihre Klinik, ihr Gebiet sei ja noch nicht betroffen.

Warum ich das so betone?

Seit etwa zwei Jahrzehnten werden in Deutschland die Kliniken betrieben wie Autofabriken. Vor allem ökonomische Effizienz wird vom Management erwartet. Die Einführung der DRGs[1] brachte eine Menge von Ausgliederungen mit sich. Catering, Transport, Reinigung, Wäscherei, Sterilisation wurden in Tochterfirmen ausgegründet. Sinn dahinter war, höherer Druck auf die Beschäftigten und die Umgehung von Tarifen. Bei den Reinigungen erhöhte sich z.B.: in der Regel die von der Reinigungskraft zu bewältigende Fläche beträchtlich.

Dazu gehört aber auch, dass Flächen eingespart werden mussten. Kliniken mussten sich also von vermeintlich überschüssigen Flächen trennten, denn diese kosten ja Reinigung, Heizung, Erhalt usw. Das führt zum Beispiel im normaltäglichen Wahnsinn zu beengten Verhältnissen. PC-Arbeitsplätze werden von vielen Leuten genutzt. In der derzeitigen Situation ist es schwer, Flächen für zusätzliche Betten zu finden (müssen ja auch geeignet sein) oder eben auch zu Hygieneproblemen, denn z.B. die Desinfektion von Tastaturen ist schwierig.

Für Effekte in der Bilanz wurden Lagerbestände knapp gehalten. Das rächt sich heute enorm, wenn wir an Masken, Kittel, Brillen oder Desinfektionsmittel denken. Auch der Staat übernahm nicht die Rolle, Vorräte/Reserven anzulegen. Nun führt dies zu Knappheit, die die Panik oder Unsicherheit sehr verstärkt.

Im Augenblick scheinen viele der KollegInnen mit der Organisation rund um die Arbeit beschäftigt zu sein. Wie sind die Kinder betreut, wer unterstützt die betagten Eltern, Verwandte, Freunde usw.? Die Schließung der Kitas stellt viele vor große Probleme. Zu den Großeltern gibt man sie derzeit ja besser nicht, dann also ab in die Notbetreuung? Das geht nur, wenn beide Eltern in einem sogenannten systemrelevanten Bereich arbeiten. Dies führt aber auch dazu, dass dort Kinder zusammenkommen, deren Eltern zum Beispiel in großer Zahl in den Kliniken arbeiten. Wenn dort das Virus weitergegeben wird, sind schnell diverse Klinikbeschäftigte infiziert.

Sorgen machen sich auch viele ums Material. Wobei es für uns nicht einschätzbar ist, wie groß die Lagerbestände wirklich sind. Auffällig war aber, dass bereits von Engpässen berichtet wurde, als noch kaum Corona-PatientInnen in den Kliniken waren. Dass es Engpässe gibt, merken wir u.a. daran, dass diese Materialien nun aus dem normalen Bestellsystem herausgenommen wurden und Genehmigungen erfolgen müssen. Es werden Desinfektionsflaschen gesammelt, um sie dann aus Fässern nachfüllen zu lassen. Spezial FFP-Masken werden namentlich vergeben bzw. ausgetragen. Es wurden auch Mundschutz-Bestellungen wohl zurückgewiesen.

Schwer entrüstet waren viele der KollegInnen, dass die wirkliche oder medial verbreitete Knappheit dafür gesorgt hat, dass sich Diebeszüge durch die Häuser lohnen. Seife, Desinfektionsmaterial, Masken – nun wohl einiges bei Ebay zu finden.

Es scheint nun Pläne zu geben, dass Ärzte und Pflegepersonal Kurzschulungen erhalten sollen, um auf den Intensivbereichen eingesetzt werden zu können. Es sollen ja neue ITS-Betten geschaffen werden, Beatmungsgeräte seien geordert. Doch wer soll so schnell lernen, die Geräte zu bedienen? Schon vor der Corona-Krise war es nicht möglich die Intensivstationen mit ausreichend Personal zu besetzen. In Berlin waren viele ITS nur aufrecht erhaltbar durch den Einsatz von Leasingpersonal. Nun scheint es recht gewagt, dass Kolleginnen innerhalb weniger Tage gut eingearbeitet werden können. Normalerweise rechnet man auf ITS mit Einarbeitungszeiten von einem halben Jahr bis zu einem Jahr. Fachpflegkurse ITS dauern 2 Jahre. Gehofft wird, dass Tandems, also erfahrene Kraft mit neuem Pflegepersonal, gebildet werden können.

Damit aber Personal von den sogenannten Normalstationen auf ITS wechseln kann, muss geklärt werden mit welchem Personal diese weiter arbeiten, denn auch weiterhin werden Menschen nicht nur an Corona erkranken. Auch diese Stationen leiden seit Ewigkeiten an Personalmangel.

Doch ein Krankenhaus besteht nicht nur aus Ärztin und Pfleger.

Die Ausgliederungen der Serviceberieche führten zu schlechten Arbeitsbedingungen und zu miesen Lohnbedingungen. Man kann sich in etwa vorstellen, wie dort die Stimmung ist und vielleicht auch die Motivation der KollegInnen. An der Charité in Berlin war am Montag gerade ein Streiktag bei der Tochterfirma CFM (Charité Facility Management) begonnen worden. Seit der Gründung der CFM vor 14 Jahren verweigert deren Geschäftsführung den Beschäftigten eine Bezahlung nach Tarif. Die CFM ist mittlerweile wieder 100%ige Tochter der Charité und damit zum Land gehörend.

Dieser Streikmontag war wohl sehr erfolgreich, einige Hundert Beteiligte erzeugten einen spürbaren Druck. Doch mit der Begründung, dass eine besondere Gefahr durch das Corona Virus bestünde, wurde der Streik in Absprache mit der Gewerkschaft ver.di untersagt. Zu diesem Zeitpunkt gab es an der Charité wohl nur 2 oder 3 Corona Fälle und alle Stationen fuhren ihr altes auf möglichst weitgehende Auslastung der Kapazitäten ausgerichtetes Programm.

Seit Jahren wird die Tarifforderung abgelehnt unter anderem mit der Begründung, die KollegInnen würden ja patientenfern arbeiten. Doch nun sind sie so nah und so wichtig, dass ihnen der Streik untersagt wurde.

Weder den Ärzten, Pflegkräfte noch den KollegInnen der Töchter wurde eine Ruhe vor Corona gegönnt.

Die Fremdvergabe der Wäschereien führte dazu, dass es nur noch wenige, sehr große Wäschereianbieter gibt. Die benötigt man auch, wenn sie Vivantes oder die Charité in Berlin versorgen sollen. Das hakt in normalen Zeiten immer wieder, auch wegen der Ferne der Wäscherei und zwei getrennten Geschäftsführungen mit jeweils eigenen Interessen. Was das bedeutet, wenn eine solche Großwäscherei ausfällt, kann man sich grob vorstellen.

Soweit die Krankenhäuser,

Die Pflegeinrichtungen haben dicht gemacht, es soll verhindert werden, dass der Virus in die Einrichtungen eindringt. Doch es bleibt auch dort bei dem eh schon viel zu gering vorhandenen Personal. Bleiben sie zu Hause, weil sie Symptome haben, ist das richtig, wird aber die Versorgung verschlechtern. Unterstützung durch mithelfende Angehörige gibt es eben auch nicht mehr. Zumal eigentlich jetzt noch mehr Zeit für Hygiene aufgebracht werden müsste.

Die Sozialstationen, also Hauskrankenpflegen, scheinen auch größere Probleme zu haben. Jedenfalls wird es für die Kliniken sehr schwer PatientInnen zu entlassen, da viele Hauskrankenpflegen sagen, wir können die Versorgung nicht übernehmen. Dort wird das Material in der Regel patientenbezogen vom Hausarzt verschrieben. Wie handhaben sie es nun mit Masken? Gemeint sind Mund- Nasenschutz, der dazu beitragen kann, dass ich den gegenüber etwas weniger gefährde. Es gibt ja wohl sehr viele symptomlose Virusträger. Woher nehmen die KollegInnen solche Masken?

Die Praxen haben genau dieses Problem. Sie wollen die PatientInnen betreuen, aber können sich nicht ausreichend schützen. Es fehlt das Material. Sie konnten gar nicht genug lagern. Staatsreserven?? Und so manch verzweifelter Hausarzt muss nun wohl sein Material bei Ebay ersteigern. Wenn die Praxen wegfallen, ist das auch für die Kliniken ein Problem, denn dann wird der Ansturm dort noch weiter steigen.

Erste Rehaeinrichtungen (in der Regel in privater Hand) scheinen keine PatientInnen mehr zu übernehmen aus den Akuthäusern. Schutz vor Corona, aber im Akutbereich werden die Betten nicht frei.

Wir sollten schon jetzt unsere Forderungen nach einer weitgehenden Umgestaltung des Gesundheitssystems formulieren. Wir dürfen nicht vergessen, was zu dem großen Ausmaß der zu erwartenden Verheerung beigetragen hat. Das Gesundheitssystem wurde in den letzten Jahrzehnten so verändert, dass mit der Versorgung am Bett genauso Profite gemacht werden können wie mit der Produktion von Medikamenten oder Autos. Schlaglichter hatte ich bereits genannt. Flächen verkleinern, geringe Lagerhaltung, da diese kostet, Outsourcing usw.

Ausdruck des Willens, Kliniken nach Marktkriterien wirtschaften zu lassen, sind die DRGs. Eingeführt durch Politik, sicher, aber durchgesetzt und umgesetzt durch das Klinik-Management (Kaufmann ärztliche Leitung, Pflegeleitung). Sie tragen ganz genauso die Verantwortung und ließen sich ihr Gewissen abkaufen.

Das führte zu einer Erhöhung der Arztstellen. Doch gleichzeitig wurde deren Arbeit trotzdem nicht entlastet, denn sie mussten permanent die Fallzahlen steigern. Ein „gutes“ Jahr brachte die Forderung nach noch mehr Fällen. Das Pflegepersonal wurde massiv in den frühen 2000er Jahren abgebaut  So errechnete ver.di, dass 2018 bereits am 23.10. das vorhandene Pflegepersonal aufgebraucht war, ab da wurde sozusagen per Überstunde gefahren. Jede Klinik, jedes Bett!

Und erst die Streiks und Aktionen des Pflegpersonals seit einigen Jahren erzeugten einen Druck, der die Politik veranlasste, zu reagieren. Doch das schon erwähnte Pflegepersonaluntergrenzen-Gesetz bracht keine Erleichterung, sondern sehr oft nur eine Festschreibung der schlechten Personalbesetzungen. Die Tarifverträge für Entlastung (ich habe bei 15 aufgehört mitzuzählen) brachten in vielen Kliniken bisher auch keine Entlastung. Jedenfalls an der Charité, berichten die KollegInnen, hat sich der Mangel eher weiter zu gespitzt. Bei Vivantes, senatseigen, gab es noch nicht einmal diesen Versuch dem Mangel entgegenzuwirken. Aber auch aus Baden-Württemberg mit dem Tarifvertrag für die Unikliniken hörte man, dass es zu keiner Entlastung kam. Und so hört man hier in Berlin von Bettenschließungen, die gar nichts mit Corona zu tun haben, sondern dem normalen Wahnsinn, dem normalen Personalmangel geschuldet sind. Auch Intensivbereiche sind betroffen. Für Berlin habe ich nur Augenzeugenberichte, aber 2018(!) berichtet die Deutsche Gesellschaft für Intensivmedizin und Notfallmedizin, dass 76% der sich an einer Umfrage beteiligenden Intensivstationen Betten sperren mussten.

Es gibt Konzepte, die auch bereits umgesetzt werden, 3-jährig ausgebildetes Pflegepersonal dadurch zu „entlasten“, dass kürzer Ausgebildete eingesetzt werden. Auf den Stationen haben wir dann studierte KollegInnen, die sich in Richtung Hilfsarzt entwickeln sollen, die 3-Jährigen, 2-Jährigen, Ein-Jährigen und Servicekräfte mit Crashkursen. Dazu Physio, Reinigung, Logopädie usw. usf. Die Zimmer werden zu Taubenschlägen. Das schickt PatientInnen in eine noch abhängigere Situation und hat psychische Folgen (Regression). Einen Satz hören die PatientInnen so sehr oft: „Dafür bin ich nicht zuständig. Aber ich sag Bescheid“…. Ach Mist, vergessen.

Wenn überall gefordert wird, sich zu isolieren, sich sozial in seinen Kontakten einzuschränken, dann gilt das umso mehr in den Kliniken. Wir brauchen endlich ein Bezugspflegsystem, das diesen Namen verdient. Wir brauchen keine Hierarchisierung auf den Stationen. Wer auf Station arbeitet, soll auch das gleiche Gehalt wie eine Schwester erhalten.

In der Vergangenheit gab es Wirtschaftskrisen, die mit Konjunkturpaketen abgemildert werden sollten. Von aktiven Beschäftigten der Kliniken wurde immer wieder gefordert. Statt Abwrackprämie zur Stabilisierung der Gewinne der Autoindustrie große Modernisierungspakete anzuschieben in den Kliniken. Ausgelacht wurden sie. Und so haben wir heute kein Personal, kein Material, Türklinken, manuelle Betten, Wasserhähne, die man anfassen muss, nichtdesinfizierende Toilettenbrillen usw.


[1] Diagnosis Related Groups (Diagnosebezogene Fallgruppen) ist das sogenannte Fallpauschalensystem. Es wurde durchaus auch mit Qualitätsansprüchen begründet, doch ein Hauptmotor scheint gewesen zu sein, den Aufenthalt von PatientInnen in Kliniken zu einer Einnahmequelle zu machen. Die Krankenhäuser wurden für private KapitalanlegerInnen und deren Interessen geöffnet. Das wirkte sich auch auf die anderen Trägerschaften der Kliniken aus. Die „Schwarze Null“ wurde zum Handlungsprinzip der Managementetagen. Chefärzte wurden zu kleinen Unternehmern. Gerade für kleine Kliniken gab es seitdem immer das Damoklesschwert der Insolvenz.

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