Nach dem Streik ist vor dem Streik
Im Uniklinikum Gießen/Marburg wird wieder gestreikt. Nachdem die Kolleg:innen schon im Dezember für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze im einzigen privaten Uniklinikum Deutschlands kämpfen mussten, geht es jetzt um Entlastung: denn eigentlich reicht das Personal ohnehin schon vorne und hinten nicht. Seit dem 27. März ruft ver.di in allen Bereichen zu Streiks auf, das 100-Tage-Ultimatum ist abgelaufen. Auch wenn beide Seiten „sehr bemüht sind, eine Verbesserung für die Kolleg:innen zu erreichen“, rechnet niemand so schnell mit einer Einigung. Zum Glück ist man ja schon streikerprobt…
Und da muss doch wohl mal die Frage gestattet sein: Hä??
Zumindest ist das der erste Eindruck nach dem Lesen eines Artikels bei Bibliomed Pflege, in dem sich Carla Eysel, Charité-Vorständin Personal und Pflege neben anderen in epischer Breite über die Bilanz von einem Jahr Tarifvertrag Entlastung – nun, sagen wir mal, äußert. Der zweite Gedanke ist dann allerdings – da haben die nun jahrelang studiert und können trotzdem nicht begreifen, wofür wir 2021 mehr als 30 Tage gestreikt haben. Wenn da Stationsleitungen mit der Aussage zitiert werden, für viele Stationen seien „viel zu hohe Bemessungsschlüssel festgelegt, die an der Realität vorbeigehen“ – nee, das ist echt nicht unser Humor. Auch die Meldung, durch den Tarif seien bereits „500 neue Mitarbeitende gewonnen“ ist ein echter Brüller. Offenbar werden einfach die Gegangenen unterschlagen.
Fragerunde bei der CFM
2021 informierten Beschäftigte der CFM über Korruptionsfälle Und zwar über von der Firma vorgegebene Kanäle. Laut ver.di sind dann die Aufsichtsräte von CFM und Charité zwar über die Tatsache, aber nicht über die Details informiert worden. Ein Bericht der Charité war sogar so abgefasst, dass der Staatsanwalt gar nicht ermitteln wollte. Das änderte sich dann nach Zeitungsberichten im Sommer 2022. Und was geschah dann? Ein paar Leute mit gutem Einkommen und Bedarf nach noch mehr mussten gehen. Doch auch mehrere Kolleg:innen, die Informationen weitergaben, wurden gekündigt. Warum? Wer wusste von diesen Kündigungen? War es nicht ihre Pflicht, Schaden von CFM und Charité abzuwenden? Warum wird erst jetzt genauer ermittelt? Warum liegen den Aufsichtsräten nicht alle Informationen vor? Wann endlich werden wir Beschäftigten informiert? Was ist mit Hinweisgeberschutz an Charité und CFM…?
Da stehste da und wunderst Dir
Nun behaupten also unsere Oberen, dass durch die pausenlosen Verbesserungen von Arbeitsbedingungen und Bezahlung an den Berliner Krankenhäusern der Ausbruch allgemeiner Glückseligkeit und paradiesischer Zustände unmittelbar bevorstünde. Also müssten ja eigentlich vor den Büros der Personaler Nummern gezogen werden, um die Bewerbungen zu bewältigen. In der realen Welt ist allerdings immer noch Berliner Wirklichkeit, dass der Anteil der eingesetzten Leiharbeitskräfte in der Pflege bei satten 9% liegt – gegenüber 3% bundesweit. Doch dagegen gibt es jetzt ein Mittel – nämlich den „Musterrahmenvertrag“ der Berliner Krankenhausgesellschaft. Einfach die Bedingungen in der Leiharbeit verschlechtern – und schon kann die Abwanderung gestoppt werden – geschickt eingefädelt! Das läuft dann auch noch unter „Fairness-Vertrag“ – na, sicherlich nicht gegenüber den in der Pflege Beschäftigten. Die müssen sich das wohl weiterhin erstreiken – dann klappts auch mit der Fairness.
Alles wie immer – nur schlimmer
Was für eine Überraschung. Einst erließ Minister Spahn ein Gesetz mit dem poetischen Namen Pflegepersonalstärkungsgesetz“. Da ging es nicht um die Anschaffung von Hanteln und Energy-Drinks für die vorhandenen Altenpfleger:innen, sondern bis Ende 2022 sollten 13.000 neue Altenpfleger:innen angeworben werden. Überraschung – is nix geworden. 4000 sinds geworden, immerhin. Spahn und sein Nachfolger waren stets bemüht.
Wunder gibt es immer wieder…
Am 27. März passierte es: anlässlich des Streiks bei der EVG waren plötzlich alle Parkplätze an der Charité kostenlos… nachdem monatelang da wirklich nichts zu rütteln war, auf einmal geht es doch! Also bitte, liebe EVG, streikt doch noch ein bisschen öfter…
Raus aus dem Kämmerlein
Man kann als Pflegekraft sicher mit guten Absichten für die Einrichtung einer Pflegekammer sein, aber spätestens mit der Gesetzesinitiative der Berliner CDU zur Errichtung einer solchen Kammer sollte man sehr ernsthaft nach anderen Mitteln greifen, die Interessen der Pflege durchzusetzen. Die Streiks der letzten Jahre sind da sicher eine Gedankenstütze. Wohin es führt, wenn die CDU (oder andere) sich einmischen, zeigte uns ja der Spahn mit so schönen Regelungen wie das Pflegepersonalstärkungsgesetz oder auch die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung: Ins Lächerliche
Europaweite Absprache?
Die Kolleg:innen des britischen Gesundheitssystems NHS streikten über Wochen und immer wieder, um eine Lohnerhöhung angemessen zur hohen Inflation durchzusetzen. Der Staat als Betreiber des NHS bot ihnen 3,5% mehr Lohn. Jetzt erhöhte sich das Angebot auf 5% in zwei Schritten und eine Einmalzahlung von mind. 1250 Pfund. Das kennen wir doch zu genau. Es scheinen sich also nicht nur die Postchefs und die im Öffentlichen Dienst verabredet zu haben, sondern europaweit wollen sie unsere Einkommen, unseren Reallohn senken. Darum gilt den Kolleg:innen unsere Solidarität, die die Frechheiten der Chefs bei der Deutschen Post oder beim NHS ablehnen und nehmen uns die ärztlichen Kolleg:innen des NHS, die eine Lohnerhöhung von 26% fordern, zum Vorbild.
Aufruhr im Gesundheitswesen
Hier und dort legt man nun die Arbeit nieder: Hier, das heißt Ärzt:innen der kommunalen Krankenhäuser aus verschiedenen Bundesländern. Der Marburger Bund fordert einen linearen Inflationsausgleich plus 2,5 % mehr Lohn – kurz gesagt knapp 12% mehr. Mehrere Tausende Beschäftigte legten am 21.03. ihre Arbeit nieder, und es wird weitere Tage geben. Und auch den Pfleger:innen der städtischen Krankenhäuser in Kiel reicht es. Sie streiken, um wieder vernünftig arbeiten zu können statt der andauernden Elendsverwaltung. Und für richtige Arbeit braucht es nun mal auch richtiges Geld – was die Klinikleitung lieber in den Kauf eines neuen Krankenhauses investieren würde – dafür soll dann Geld da sein, aber für angemessene Gehälter wieder nicht…
Gemeinsam streiken für 500 Euro mehr!
Die Verhandlungen zum TVÖD laufen weiter, und damit auch die Streiks. Auch wenn alle gemeinsam nun an einem Tisch sitzen und ein bisschen plaudern, rechnen wir nicht mit einem guten Angebot in den nächsten Tagen. Nach den Streiktagen in Februar und März läuft der Motor langsam warm. Wir sollten sie nutzen, um daran zu erinnern: Wir sind hier nicht bei der Deutschen Post und mit fünf Prozent mehr Lohn, einer ellenlangen Laufzeit und Einmalzahlungen werden wir uns nicht zufrieden geben! Wir streiken weiter für Inflationsausgleich und mindestens 500 Euro mehr!