Jüdisches Krankenhaus Berlin: Mindestbesetzung für alle!

Ja, es stimmt, es hat eine Weile gedauert, eh hier etwas zu dem Abschluss eines Tarifvertrag-Entlastung am Jüdischen Krankenhaus Berlin (JKB) steht. Das liegt daran, dass wir doch ein wenig sprachlos waren, mit welcher Frechheit die Geschäftsführung gegen ihre Belegschaft agiert hat und wie ignorant sich Landes – und um die Ecke befindliche – Bundespolitik verhalten haben. Und das, obwohl wir nun wirklich schon einiges gewohnt sind von den Kämpfen in den Kliniken hier in Berlin.

Die Beschäftigten des JKB hatten sich auf ihren Streik gut vorbereitet und der Geschäftsführung reichlich Zeit gelassen, auf die Forderung nach Entlastung durch konkrete Schlüssel von Patient:innenanzahl je Pflegekraft (Ratios) einzugehen. Sie haben aber auch Mindeststandards für Servicekräfte oder für im OP-Beschäftigte, Rettungssanitäter:innen und andere Berufsgruppen gefordert. Diese Forderungen sind Ausdruck des Willens der Kolleg:innen, ihre Patient:innen mit hoher Qualität zu versorgen. Ihre Aufgaben zu erfüllen und dabei nicht gesundheitlich Schaden zu nehmen. Was soll man sagen? Ein Anliegen, dass den Chefs des JKB doch durchaus einleuchten sollte. Bei den Vorbereitungen und der Forderungsfindung ließen die JKBler sich von den Erfahrungen der Berliner Krankenhausbewegung an der Charité und bei Vivantes inspirieren.

Doch das von den Kolleg:innen gestellte 50-tägige Ultimatum ließ die Geschäftsführung schweigend verstreichen und provozierte so den unbefristeten Streik. Die Aktiven waren sich ihrer Kraft bewusst und bestreikten bis zu 70% der im JKB vorhandenen Betten. Wie auch andere Belegschaften, die sich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einsetzen, schallte ihnen entgegen, sie würden rücksichtlos sein und die Patient:innen gefährden. In der Berliner Presselandschaft fand der Streik nur sehr wenig Erwähnung und so war es Aufgabe vieler sich Solidarisierender, überhaupt den Streik in der Berliner Öffentlichkeit bekannt zu machen. Solidarisch erklärten sich u.a. Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte, die FAU, Kolleg:innen der Charité, der Facility-Tochter der Charité CFM oder auch der BSR und  viele Weitere. Zu den eindrucksvollen Erfahrungen beim Streik dürfte auch gehören, dass innerhalb kurzer Zeit mehrere tausend Euro auf ein eingerichtetes Soli- Konto flossen. Gerade für Kolleg:innen, die eh wenig verdienen, entsteht durch das Streikgeld, welches ja nicht 100% des Lohnes ausgleicht, schnell ein finanzielles Loch.

Der ökonomische Druck des Streiks brachte die Geschäftsführung des JKB doch noch an den Verhandlungstisch. Doch auch dort verblieb sie bei ihrer Blockadehaltung und legte keine Reaktion auf das Forderungspapier der Streikenden vor. Im Gegenteil, nach wenigen Verhandlungstagen verschärfte sie die Tonart drastisch. Sie drohte mit der Insolvenz des Hauses, wenn der Streik nicht beendet und die Forderungen der Beschäftigten durchgesetzt werden. Zudem zog sie sog. Insolvenzberater zu den Verhandlungen hinzu. Jedem am JKB und damit auch der Geschäftsführung ist aber bekannt, dass die drohende Insolvenz nicht an der Erfüllung der Forderungen der Kolleg:innen hängt, sondern durch das aktuelle Finanzierungssystem der Kliniken und das aggressive Abwarten der Gesundheitspolitik bedingt ist. Sehr bitter ist den JKBlern diese Erpressung aufgestoßen, denn sie sind es, die den Laden seit Jahren am Laufen halten. Und zum Beispiel mit ihrer Arbeit auch den Neubau eines Klinikgebäudes am Krankenhaus finanziert haben, denn vom Senat kam da nichts. Obwohl nach Gesetz die Länder die Finanzierung von Klinikneubauten voll tragen müssen.

Die Strategie der Geschäftsführung mit der Insolvenz zu drohen, zeigte durchaus Wirkung. Denn gerade von Kolleg:innen, die sich nicht am Ausstand beteiligten (z.B. Ärzt:innen, Verwaltungsangestellte) wurde die Befürchtung laut, dass ihre Jobs bei einer Insolvenz verloren gehen könnten. Dies ließ die Streikenden natürlich nicht unberührt. Obwohl ihnen klar war, dass ein Verzicht ihrerseits die finanzielle Situation nicht ausgleichen und die Insolvenz des JKB bei dieser Krankenhauspolitik in den nächsten 1 bis 2 Jahre wieder auf der Tagesordnung stehen wird.

In einer Resolution erklärten sie ihren Willen, weiterhin für einen Tarifvertrag Entlastung zu streiken und boten gleichzeitig ein Entgegenkommen an, indem sie ihre bisherigen Forderungen den Besetzungsregeln, die bei Vivantes gelten, anpassten. Und dann wurde es klassisch. Plötzlich erhielt der Abschluss eines Tarifvertrages auch für die Geschäftsführung eine Bedeutung und es wurde verhandelt. Stundenlang, mal wieder die ganze Nacht durch. Solch Ritual scheint irgendwie wichtig, um Chefs und Gewerkschaft zu ermöglichen, nach außen zu zeigen, wie sehr man um ein gutes Ergebnis gerungen hat.

Und tatsächlich am 26.01.2024 wurde gegen 9 Uhr ein Eckpunktepapier zu einem Tarifvertrag Personal Plus unterschrieben und der Streik beendet.

Bei den Inhalten der Eckpunkte möchten wir nicht zu tief einsteigen. Interessant scheint uns u.a., dass es auch Regelungen für Servicekräfte gibt oder auch für die psychiatrischen Stationen Ratios festgelegt wurden. Insgesamt scheint es weniger Bereiche zu geben, für die Nachverhandlungen vereinbart wurden. Dies ist insbesondere nennenswert, weil bei Charité und Vivantes noch heute Nachverhandlungen zum Tarifabschluss von 2021 laufen. Aber die Physiotherapie wird z.B. im Tarifvertrag als noch zu regelnder Bereich benannt. In der Logik dieser Entlastungstarifverträge steht immer ein Ausgleich für die einzelnen Mitarbeitenden, wenn sie in Schichten arbeiten mussten, die belastet waren. Das heißt, bei denen die festgelegten Ratios nicht eingehalten werden konnten. Dieser Ausgleich erfolgt in sog. Belastungspunkten, die dann in freie Tage oder in Geldleistung eingetauscht werden können. Die Regeln für diese Belastungspunkte sind am JKB auf den ersten Blick etwas schlechter als an der Charité. So erhalten Kolleg:innen, die zum Beispiel in Schichten mit einem hohen Anteil an Leasingkräften arbeiten müssen, deutlich weniger Entlastungspunkte als es an der Charité ausgehandelt wurde.

Aber der wirkliche Hammer in den Eckpunkten sind zwei ganz andere Punkte. Der Tarifvertrag soll erst ab dem 01.12.2024 gelten. Zudem erwirkte die Geschäftsführung des JKB ein sog. Moratorium. Die Anwendung des Tarifvertrages kann also um bis zu 15 Monate nach hinten verschoben werden. Wann kann die Geschäftsführung diese Karte ziehen? Na klar, bei „Vorliegen eines Insolvenzantragsgrundes“. Ver.di hat sich zusichern lassen, dass die Wirtschaftszahlen gegenüber Wirtschaftsprüfern offengelegt werden müssen, die dann sich zu der wirtschaftlichen Situation äußern können. Natürlich unter Wahrung der Geheimhaltung. Halbjährlich dürfe solch ein Prüfverfahren das JKB allerdings nur 5000 Euro kosten. Wenn es teurer wird, muss ver.di und damit die Mitgliedschaft der Gewerkschaft, die Prüforganisation bezahlen. Leider kein Spaß. Die Unterschrift der Geschäftsführung unter den Eckpunkten anerkennt ja zumindest die Situation, dass die Patient:innenversorgung mit viel zu wenig Personal geleistet wird, seit Jahren. Und dann sind die Kolleg:innen, die das bisher ertragen mussten, auch noch dazu verdonnert, im Ernstfall die Kosten für Wirtschaftsprüfer zu zahlen.

Der Tarifvertrag „Personal Plus“ am JKB ist in Berlin der erste zum Thema Entlastung an einem Krankenhaus, welches eher klein ist und nicht im Besitz des Landes Berlin steht. Damit hat es eine Vorbildfunktion für viele weitere Häuser, die gerne eine Entlastung erreichen würden, wie z.B. die Sana-Kliniken in Lichtenberg. Jedoch kann es kann nicht die Aufgabe der Kolleg:innen sein, sich um die Wirtschaftlichkeit der Kliniken zu kümmern, sondern für eine gute Versorgung zu sorgen. Dazu gehört auch ausreichend Personal. Das sind wir der Gesellschaft schuldig und muss von der Gesellschaft getragen werden. Um dies durchzusetzen, bedarf es Druck auf Klinikleitung und Politik, die vor allem auch durch Solidarität der Bevölkerung/Patient:innen sowie wie mit anderen Krankenhäusern und Arbeiter:innen.

Waren die Kröten, die die Kolleg:innen am JKB schlucken mussten noch vertretbar oder einfach zu groß und der Verzicht, einen solchen Tarifvertrag abzuschließen, wäre besser gewesen?

Die Diskussion ist eröffnet.

Dieser Beitrag wurde Mitte Februar geschrieben.

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